top of page

Was ist Skan?
Zitiert aus www.skanreader.com Text von Loil Neidhöfer (verstorben im Mai 2022)

 

Skan – „Das, was sich bewegt.“ (aus der Sprache der nordamerikanischen Lakota-Indianer)

Skan-Körperarbeit hat ihren Ursprung in der Vegeto- und Orgontherapie Wilhelm Reichs. Wegbereiter und Gründer von Skan war der amerikanische Psychologe und Körpertherapeut Michael Smith (1937-1989) der gemeinsam mit seinem Lehrer Al Bauman (1918-1998) wie nur wenige dafür gesorgt hat, daß die „klassische“ vegetotherapeutische Körperarbeit in ihrer ursprünglichen, schnörkellosen Direktheit und Effektivität erhalten geblieben ist. Seit den neunziger Jahren ist Skan vor allem durch die Arbeit von Loil Neidhöfer und Petra Mathes in Deutschland, Österreich und der Schweiz bekannt geworden.

Skan-Körperarbeit basiert auf der Fähigkeit, in Beziehung zu sein und konfrontiert die vielfältigen Manöver der Beziehungsvermeidung, seien sie physischer, mentaler oder emotionaler Art. Beziehung in der Körperarbeit ist energetisch definiert: als Fähigkeit zur vegetativen Identifikation, als Fähigkeit, sich mit anderen Menschen und der lebendigen Natur energetisch verbinden zu können, sowie als Fähigkeit, der Welt mit der Authentizität des eigenen lebendigen Kerns begegnen zu können, sei es im Zorn oder in Zuneigung.

Am Anfang steht also die Beziehung, die wir anbieten, nicht die Methode oder die Technik. Die zahlreichen, sehr effektiven Interventionsmöglichkeiten, über die wir verfügen, werden erst im Rahmen einer solchen Beziehung wirksam. Technisch gesehen handelt es sich dabei zunächst weitgehend um das »klassische« Instrumentarium der Vegetotherapie. Wir leiten unsere Klienten dazu an, ihren Atem wieder als heilsame, reinigende und vitalisierende Kraft zu erfahren und zu einer dauerhaft vertieften und rhythmischen Atmung zu kommen. Parallel dazu können verschiedene Massage- und Berührungs-Interventionen zur Anwendung kommen, ebenso Formen von Stimm-, Ausdrucks- und Bewegungsarbeit, sowie die Arbeit mit dem Energiefeld. Dieses technische Repertoire ist unerschöpflich und wird nicht mechanisch eingesetzt, sondern aus der jeweiligen Situation immer neu erschaffen.

Im Prinzip folgen wir dabei der Reichschen Lehre von der sukzessiven Entpanzerung der sieben Körpersegmente vom Kopf zum Becken. Dabei wird der Organismus im gesunden Zustand als einheitliches pulsierendes Ganzes gesehen, mit einer charakteristischen pulsatorischen und mit der Atmung einhergehenden Gesamtbewegung („Orgasmusreflex“). Wenn diese Bewegung an einer oder mehreren Stellen behindert, unterbrochen oder blockiert ist, besteht unsere Aufgabe zunächst darin, die spezifische physische und psychische Qualität der Blockierung ausfindig zu machen, sie dem Klienten als seine eigene fortdauernde Aktivität bewußt zu machen, die Blockierungen aufzulösen und somit das ganzheitliche kooperative Funktionieren der verschiedenen Körpersegmente wieder herzustellen.

Im Verlauf dieser segmentären Entpanzerungsarbeit werden zwei wesentliche Energieverlaufsbahnen wieder restauriert: zunächst die vorderseitig vom Kopf zum Becken abwärtsfließenden natürlichen Körperenergien der „frontalen Persönlichkeit“. Dabei wird nach und nach die Re-Energetisierung des gesamten Körpers bewirkt: bei günstigem Therapieverlauf wird der Kopf frei von zwanghaftem Denken, Brust und Herz öffnen sich wieder, das Zwerchfell wird befreit aus der chronischen Hab-acht-Stellung, das Becken wird beweglicher, und die sexuell-genitale Funktion wird im günstigen Fall bis hin zur vollen orgastischen Potenz (wieder-) hergestellt.

Der zweite wichtige Energieverlauf, dem in der Skan-Körperarbeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist das »Radiieren«, das beständige pulsatorische Expandieren der Energie vom Kern her zur Peripherie und darüber hinaus bis an die Grenzen des eigenen Energiefeldes, der „Aura“. Das Arbeiten mit der Radiation zielt auf die gesamtorganismische Ausdrucks- und Kontaktfähigkeit ab, während die Arbeit an den abwärts fließenden frontalen Energien die biologische Basis hierfür schafft: die wiedergewonnene Beweglichkeit des Körpers und das Strömungsempfinden (Körperbewußtsein).

Eine Erfahrung, die wir dabei immer wieder machen, ist folgende: viele Menschen haben keine Erfahrungsstruktur für die in der horizontalen Arbeit freiwerdenden immensen Energiebeträge. Es ist durchaus nicht so, daß Entpanzerung automatisch und spontan ein kreativeres Leben nach sich zieht. Es erfordert Übung und Disziplin, die freigesetzte Lebensenergie so auszurichten und einzusetzen, daß ein befriedigendes alltägliches Handeln und Erleben daraus resultiert.

Für diesen Brückenschlag von der Therapiesituation zum alltäglichen Leben verfügt Skan über ein effektives Instrumentarium: das von Al Bauman entwickelte und in der Tradition großer Schauspiellehrer wie Konstantin Stanislawski, Michael Tschechov oder Lee Strasberg stehende Streaming Theatre.

Streaming Theatre ist eine Form der Körperarbeit in der Vertikalen; eine Synthese aus Reichianischer Körperarbeit und Schauspiel-Training; jedermann kann es mit Gewinn für sich nutzen – für das Theater des eigenen Lebens. Streaming Theatre zielt darauf ab, mit Hilfe vielfältiger Bewegungs-, Ausdrucks- und Stimm-Improvisationen, die mechanischen, „unwahren“, der Panzerung entstammenden Bewegungsmuster zu unterscheiden von den „wahren“, dem Kern entstammenden Ausdrucks- und Bewegungsimpulsen, diesen Raum zu geben und schließlich den ganzen Körper als Instrument des eigenen Strömens fortdauernd einzusetzen, sich den ureigensten pulsatorischen Körperbewegungen hinzugeben und damit in der Welt zu sein.

Körperarbeit und Streaming Theatre ergänzen sich und können parallel zueinander laufen. Allerdings ist oft ein längerer Prozeß der direkten panzerlösenden Arbeit am Körper notwendig, damit die vertikale Arbeit von höchstmöglichem Nutzen sein kann.

Bleibt noch zu sagen, daß mit fortschreitender Erfahrung in dieser Arbeit eine paradoxe Entwicklung eintritt: wir wissen in letzter Konsequenz nicht, was wir tun. Wir können ausführliche Aussagen machen über Strukturen der Panzerung, Energie-verläufe, Interventionsmöglichkeiten und so fort. Aber was in der konkreten Arbeit die Veränderung, den Wandel, den umwälzenden Effekt letztlich bewirkt, bleibt ein Mysterium. Jede Arbeit, jede Session ist auf erregende Weise immer wieder neu und herausfordernd. Es liegt in der Natur dieser wundervollen Arbeit, daß sie uns immer wieder nötigt, unschuldig und im besten Sinne naiv zu bleiben.

Wir wissen in letzter Konsequenz nicht, was wir tun, aber mit der Zeit können wir eine Meisterschaft darin entwickeln, uns auf das Mysterium einzulassen: nicht wissen zu müssen, nicht verstehen zu müssen, jedoch mitzuschwingen, mitzufühlen, fühlend in Bewegung zu bleiben und aus dieser Bewegung heraus das eigene Handeln geschehen zu lassen. Dann ist vieles möglich.

Wurde eingangs erwähnt, daß die Skan-Arbeit ihren Ursprung in der Körpertherapie Wilhelm Reichs hat, so muß am Ende festgestellt werden, daß sich inzwischen einige Differenzen zum Konzept Reichs ergeben haben, die hier kurz skizziert werden sollen.Das definierte Therapieziel im Entwurf Reichs ist das Konzept des erwachsenenen, kontaktfähigen, orgastisch-potenten Individuums, das mit dem Kürzel „Genitalität“ oder „genitaler Charakter“ umschrieben ist. „Genitalität“ wird bei Reich nicht nur als Therapieziel definiert, sondern auch als maximale entwicklungsstrukturelle Möglichkeit individuellen Seins überhaupt gesehen.

Das energetische Basiskonzept dieser impliziten Persönlichkeitstheorie beschreibt den Energiehaushalt und die Energiebewegung der „frontalen Persönlichkeit“: das Modell der vorderseitig abwärtsfließenden und in die Welt ausgreifenden natürlichen Körperenergien. Der theoretische Bezugsrahmen hierfür ist Reichs Spannungs-Ladungs-Formel, mit dem Kriterium der orgastischen Potenz, der Fähigkeit zum homöostatischen Spannungsausgleich durch vollständige orgastische genitale Entladung.

Nicht erwähnt sind in Reichs Ansatz die aufsteigenden, rückwärtigen natürlichen Körperenergien. Wenn die natürlichen Körperenergien nicht wieder und wieder im Abwärtsfließen entladen, sondern im Aufsteigen konzentriert werden, nähren und vitalisieren sie den gesamten Organismus, schaffen die energetische Voraussetzung für spirituelles Wachstum und ermöglichen eine Intensität der sexuellen Erfahrung, die die Beschränkungen konventioneller Sexualität, wie sie in Reichs Orgasmus-Modell beschrieben wird, transzendiert.

Solche Fragen haben am Beginn einer Therapie kaum praktische Bedeutung. Entscheidend für eine Therapie ist jedoch letzten Endes, von welchen Prämissen das therapeutische Handeln geleitet wird. Je nach dem, wie man folgende Fragen beantwortet, wird man als Körpertherapeut unterschiedlich handeln: Ist Reichs Spannungs-Ladungs-Formel universell gültig? Gibt es tatsächlich so etwas wie „überschüssige Energie“ im Organismus? Brauchen wir ein Entladungs-Modell oder ein Transformations-Modell der natürlichen Körperenergien? Kann man Reichs Spannungs-Ladungs-Formel erweitern im Sinne einer innerorganismischen, „entropischen“ Entladung der aufsteigenden natürlichen Körperenergien?

Wiederum ist – wie bei Reich – der Umgang mit der sexuellen Energie entscheidend. Notwendiges Kriterium einer erfolgreich beendeten Körpertherapie bleibt das Erreichen der Genitalität. Diese ist jedoch nicht die Endstation individueller menschlicher Entwicklung. Entladungszentrierter Umgang mit der sexuellen Energie ist nicht die ultima ratio einer sowohl die kreative Vitalität unserer sexuellen Energien als auch unser spirituelles Entwicklungspotential einbeziehenden regenerativen Lebensweise. Dies ist seit Jahrtausenden bekannt und hat seine Systematisierung und Methodologie zum Beispiel in taoistischen und tantrischen Lehren erhalten.

Wenn das Erreichen der Genitalität weiterhin der übergreifende Bezugsrahmen in der Körpertherapie sein soll, dann wird in der Zukunft daran zu arbeiten sein, wie Reichs überragender zeitgenössischer Beitrag, die segmentäre Entpanzerungsarbeit und das Wiederherstellen der orgastischen Potenz, mit solchen historisch überlieferten und gereiften Kenntnissen menschlicher Sexualität in Einklang gebracht werden kann.

bottom of page